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KOPF oder ZAHL?
KOPF und ZAHL!

Im Interview mit Marcus Bond, Digitalurgestein und leidenschaftlicher Business-Kommunikator, klärt unser Geschäftsführer, Christian Bachem, diese Frage.

November/Dezember 2021,
TEXT: Marcus Bond DOK.magazin 5.2021, "Hall of Fame der Automatisierung"

Die Welt ist Corona-verzerrt im Umbruch. Wir Konsumenten werden mit markt-schreierischen Nullen und Einsen nur so überflutet. Weder POS noch die neuen Digital- und Hybrid-Events locken uns in Scharen. Und in der Endlosschleife an Video-Calls sehnen wir uns nach Team-Spirit und echtem Wir-Gefühl. Wie kann man Kunden erreichen und Mitarbeiter beglücken? Was macht Wumms und aktiviert?

Marcus Bond: Eine aktuelle Studie unter 8.200 Marketers aus 37 Ländern hat ergeben, dass seit Beginn der Pandemie 60 Prozent der Interaktionen zwischen Verbrauchern und Unternehmen digital verlaufen – im Vergleich zu nur 42 Prozent vor der Pandemie [1]. Das ist eine enorme Steigerung um rund 50 Prozent. Ist Digital das Maß der Dinge geworden, um Kunden zu erreichen?


Christian Bachem:
Digital ist vielleicht nicht das Maß, aber tatsächlich das Muss aller Dinge geworden. Corona hat in kürzester Zeit auch den hartnäckigsten Skeptikern gezeigt, dass es ohne digitale Angebote nicht geht. Und zwar in nahezu allen Lebensbereichen. Mit Blick auf Kundenbeziehungen ist das Internet für viele Unternehmen notgedrungen zum digitalen Rettungsanker geworden. Ob dieser allerdings dauerhaft hält, ist fraglich. Denn die massiv beschleunigte Adaption bei digitalen Spätstartern, sowohl seitens der Unternehmen als auch der Kunden, hat den Wettbewerbsdruck im Markt stark erhöht.

Es gibt deutlich mehr E-Commerce- und Multichannel-Player, die um Kunden buhlen, als noch vor einem Jahr. Dies hat bereits zu steigenden Preisen im Online-Werbemarkt geführt. Zwar wurde, nicht zuletzt durch veränderte Nutzungsgewohnheiten, das Anzeigeninventar u.a. bei TikTok, Instagram, YouTube und Twitch deutlich ausgeweitet. Doch die stark gestiegene Nachfrage nach attraktiven Werbeplätze treibt die Preise. Unternehmen müssen mehr denn je die Spreu vom Weizen trennen, zumal insbesondere im Digitalen billiger Werbeplatz allzu häufig seinen Preis hat.

Marcus Bond: Ich nehme Werbung am ehesten über Plakate wahr, sowie über digitale und gedruckte Fachmedien. Lineares TV schau ich nicht. Im Radio schalt ich beim Werbeblock schnell weiter. Und digital habe ich einen Werbefilter im Hirn aktiviert. Bin ich werbemäßig ein Sonderfall? Und wie gut kann man Kunden noch über die klassischen Kanäle wie TV, Print, Out of Home, Radio erreichen?

Christian Bachem:
Das ist beileibe kein neues Phänomen. Über tatsächliche oder behauptete Werbeverweigerung wurde schon vor bald vierzig Jahren trefflich diskutiert, als das Internet noch ein akademischer Zettelkasten war. Vielen Unternehmen wäre schon sehr geholfen, wenn sie ihre Zielgruppe realistisch beschreiben und sauber definieren würden. Häufig haben Produktmanager und Marketer eine idealisierte Vorstellung von der tatsächlichen Nutzerschaft ihrer Produkte. Ein Beispiel: Mit der Einführung der A-Klasse wollte Mercedes seinerzeit die Marke verjüngen. Die Käufer waren allerdings im Schnitt beinahe 20 Jahre älter als gedacht. Heute ist ein Leichtes, vor einem Produktlaunch festzustellen, wer tatsächlich Zielgruppe für ein neues Produkt ist. Man findet insbesondere in den Sozialen Medien sehr schnell belastbare Aussagen, welche Kanäle die Zielgruppen nutzen, welche Themen sie umtreiben und wie sie ticken.

Marcus Bond: Ihr bietet diesen Service, also die datenbasierte Markenführung, ja auch für Kunden an. Was kann man in Facebook, Instagram etc. über die Nutzer erfahren? Was sind die Vorteile?

Christian Bachem: Oh, das angemessen zu beschreiben, würde den Rahmen sprengen. Also versuche ich es kurz: Google und Social Media bieten den immensen Vorteil, dass man darüber die Menschen gut analysieren kann. So lässt sich beispielsweise ermitteln, mit welchen Themen die eigene Marke assoziiert wird, welche Relevanz diese haben und ob sie im Trend liegen. Man erfährt, welche Inhalte die eigene Marke aus Sicht der Menschen exklusiv besetzt und wie nahe einem die Wettbewerber in anderen Themenfeldern kommen bzw. welche von ihnen dominiert werden. Hieraus lassen sich sehr wertvolle Erkenntnisse gewinnen, die sowohl strategisch als auch taktische für die Markenführung und Kampagnenplanung genutzt werden können.

Dazu ein Beispiel: Ein Hersteller von Gartengeräten möchte einen Roboter-Rasenmäher und ein automatisches Bewässerungssystem auf den Markt bringen. Die Vermutung ist, dass insbesondere gestresste Berufstätige mit höherem Einkommen die Kernzielgruppe bilden. Doch das digitale Ohr am Markt belegt das Gegenteil: Ausgerechnet diese Menschen möchten im Garten selbst Hand anlegen, weil sie dabei abschalten und das Ergebnis ihrer Arbeit sofort sehen können. Hätte das Unternehmen seine Marke wie ursprünglich geplant positioniert und die Einführungskampagne entsprechend ausgerichtet, wäre die Saat nicht aufgegangen.

[…]

Marcus Bond: Also mehr Kopf, weniger Zahl?

Christian Bachem: Kopf oder Zahl? Für mich ist das kein Gegensatz. Es geht immer um Kopf und Zahl, also beide Seiten der Medaille. Ohne Erfahrung und menschliche Intelligenz lassen sich Zahlen und Daten weder einordnen noch sinnvoll nutzen. Dies haben viele Experten im Marketing, die sich aktuell im Trend wähnen und voll auf KI und algorithmische Steuerung setzen, entweder noch nicht verstanden oder nicht verinnerlicht.